Geschichte der LVR-Klinik Viersen
Wie brauchen einen geeigneten Standort
Als die Heil- und Pflegeanstalt Johannistal im Jahr 1906 gegründet wurde, war dies Teil einer Reihe von Neugründungen von psychiatrischer Anstalten im Rheinland. Damit wollte die Rheinprovinz dem materiellen und psychischen Elend der Betroffenen begegnen. Sie sollten ein Ort der Behandlung, der Gesundung und der langfristigen sozialen Betreuung für die nicht gesund gewordenen Kranken sein. Die Anstalten der Rheinprovinz verkörperten im besten Sinne den Geist ihrer Zeit und galten weithin als Modell für moderne Psychiatrie. Gebaut nach dem Offene-Tür-System sollten sie ein Symbol der offenen Behandlung von „Geisteskranken“ sein.
Im Jahr 1897 beschloss der Rheinische Provinziallandtag den Bau zweier neuer Anstalten, Galkhausen (heute LVR-Klinik Langenfeld) und eine zweite, die in Krefeld ihren Platz finden sollte. Auf Grund der Nähe zu einem neu errichteten Betrieb der eisenverarbeitenden Industrie, wurde kurzfristig ein neuer Bauplatz gesucht. Diesen fand man in Süchteln. Am 12. Februar 1901 fiel die Entscheidung für diesen Standort. Man rechnete mit vielen Arbeitsplätzen und eine wachsenden Attraktivität der kleinen Stadt am Niederrhein.
Frühes Beispiel einer gemeindenahen Versorgung
In Süchteln war als zusätzliches Angebot eine Abteilung für bildungsfähige epileptische Kinder katholischer Konfession und eine Poliklinik geplant. Die Poliklinik sollte unentgeltliche Untersuchungen und Beratungen von Gemütskranken und mittellosen Epileptiker*innen anbieten. Dies ist als ein frühes Beispiel einer gemeindenahen Versorgung anzusehen.
In Gegenwart des Landeshauptmannes von Renvers, des Provinzialausschusses und der Behörden des Kreises Viersen, fand am 14. Juli 1906 die Einweihung statt. Der erste Direktor Dr. Paul Brie verstarb noch während der Bauphase. Sein Nachfolger wurde Dr. Gustav Flügge.
Die Kapazitäten reichen nicht aus
Die Klinik hatte zu dieser Zeit 800 Betten und war noch vor ihrer offiziellen Eröffnung mit 612 Patientinnen und Patienten belegt, da bereits ab Mitte 1905 Aufnahmen stattfinden konnten.
Die Kapazitäten reichten aber bei weitem nicht aus. So beschloss die Provinzialverwaltung eine Erweiterung durch zusätzliche Bauten. Nach Abschluss standen der Anstalt gesamt 1040 Betten zur Krankenbehandlung zur Verfügung. Im Jahr 1913 wurde zudem ein Operationssaal für die operative Behandlung von Epileptikern durch den folgenden Direktor Dr. Karl Orthmann eingerichtet.
Im Ersten Weltkrieg dienten Teile der Anstalt als Lazarett, in denen bis zu 400 Soldaten versorgt werden konnten.
Im Jahr 1920 löste man auf Grund geringer Auslastung die Abteilung für epileptische Kinder auf. Hier entstand ein Jahr später mit der Orthopädischen Provinzial- Krüppelheilanstalt „eine orthopädische Musteranstalt für Krüppelfürsorge.“
Während die Patientenzahl nach dem Ersten Weltkrieg auf 636 sank, erlebte die Anstalt Mitte der Zwanziger Jahre unter ihrem Direktor Dr. Karl Orthmann eine Höchstbelegung von bis zu 1118 Patientinnen und Patienten. Zusätzliche Behandlungsfelder waren an Tuberkulose erkrankte Männer und Hirnverletzte des Ersten Weltkrieges. Die Reformpsychiatrie der Weimarer Republik mit Arbeitstherapie und „offener Geisteskrankenfürsorge“ spielte auch hier eine große Rolle.
Durch den Aufbau von Beratungsstellen in den umliegenden Städten, u.a. in Krefeld, Mönchengladbach, Rheydt, Kempen, gab es nun Möglichkeiten zur ambulanten Behandlung von psychisch Erkrankten.
Mit dem Bau eines Frauenhauses im Jahr 1930 endete die Bauaktivität der Anstalt zunächst. Dr. Karl Orthmann ging im Jahr 1932 in den Ruhestand.
Dr. Artur Trapet übernimmt Leitung
Dr. Artur Trapet, bisher Oberarzt in der Prov. Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau, übernahm nun die Leitung der Klinik. Nach der Übernahme der Anstaltsleitung durch den bisherigen Direktor der Anstalt Bedburg-Hau Dr. Max Raether im Jahr 1935 vergrößerte sich die Anzahl der Patientinnen und Patienten auf 2230. Die eigentlich propagierte Entlassung von Anstaltspatientinnen und -patienten machte durch geänderte Lebensverhältnisse wie z.B. Arbeitszwang, eine häusliche Betreuung von alten, pflegebedürftigen und schwachen Menschen unmöglich.
Dazu forderte die veränderte Gesundheits- und Sozialpolitik eine drastische Verminderung der Kosten für diese Kranken. Die Folge war eine immense Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Patientinnen und Patienten in den psychiatrischen Anstalten. Im Jahr 1934 unterzog man die rheinischen Anstalten einer „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ mit dem Resultat einer immensen Überbelegung der Anstalten, bei gleichzeitiger Reduzierung des Personals. Vermehrte Propaganda der Nationalsozialisten sollte die öffentliche Meinung dahingehend beeinflussen.
Euthanasie und Zwangssterilisation
Mit der Übernahme der Nationalsozialisten begann die düsterste Zeit der Psychiatrien. Euthanasie und Zwangssterilisation gehören auch zur Geschichte der heutigen LVR-Klinik Viersen. Mit der vorherigen Übernahme des St. Josefs Heim in Waldniel - Hostert, erhält die Heil- und Pflegeanstalt Süchteln weitere 870 Betten. Die Belegung der Anstalt ist auf 2500 Patient*innen, einschließlich der Teilanstalt Waldniel, der Heime in der Region und der Familienpfleglinge, angewachsen.
1941 beginnen die ersten Transporte der Patient*innen in die Gaskammern. Insgesamt werden 1500 Menschen von Süchteln abtransportiert. Unter den Opfern auch zahlreiche Kinder, die mit dem Schlafmittel Luminal getötet wurden.
Wer mehr über die Zeit des Nationalsozialismus in der LVR-Klinik Viersen erfahren möchte, kann gegen eine Schutzgebühr von 5 Euro gerne die 55-seitige Gedenkbroschüre in der LVR-Klinik erwerben. Gegen einen Aufpreis kann die Broschüre auch per Post versendet werden. Anfragen gerne an: presse.LVR-Viersen@lvr.de
Nachkriegszeit
Bei Kriegsende werden nur noch 630 Patient*innen in den verbliebenen Stationen gepflegt. Nach dem Abtransport zahlreicher Patient*innen, erleideten viele der noch verbliebenen den Hungertot oder sterben an unterschiedlichen Erkrankungen. So hielt das Sterben auch in den Jahren nach dem Krieg an. Als Folge wurde ein Tuberkulose-Krankenhaus in der Klinik eingerichtet. Bis 1986 wurden hier psychisch kranke Patient*innen mit Tuberkulose aus dem gesamten Rheinland dort aufgenommen.
Der Neuaufbau beginnt
Ab 1956 entstehen einige Neubauten wie das heutige Haus 13 und 28, die als sogenannte Wechselkrankenhäuser und als zentrale Beschäftigungstherapie errichtet wurden. Auch das erste von insgesamt drei Personalwohnheimen wird 1957 erbaut. Bis 1971 ist die Belegung bereits wieder auf 1631 Patient*innen angestiegen und auch in den Jahren darauf werden immer weitere Häuser erbaut.
Das Psychiatrie Enquête
1971 veranlasste der Deutsche Bundestag das sogenannte Psychiatrie Enquête. Nahezu zwei Jahre trug eine ausgewählte Kommission alle Materialien zusammen, um über die Bedingungen und Situationen in deutschen Psychiatrien aufklären zu können. Die größtenteils menschenunwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten gaben Anlass, die Versorgungsmöglichkeiten und Behandlungsformen zu überdenken.
Die Berichte und Lösungsvorschläge beeinflussten maßgeblich die Versorgung psychisch erkrankter Menschen. So werden Patient*innen wegen Platzmangels in entfernt liegende Heime verlegt. Das ehemalige Städtische Krankenhaus Rheydt wird eine eigenständige psychiatrische Klinik (Rheinische Kliniken Mönchengladbach), welche die psychiatrische Versorgung des Stadtteils Rheydt und später den größeren Teil der gesamten Stadt Mönchengladbach übernimmt.
Auf dem Klinikgelände in Süchteln selbst wird ebenfalls weiter gebaut, um den großen Bedarf an psychisch erkrankten Patient*innen in der Region weiter zu decken. Es entsteht unter anderem das Standardbettenhaus für Langzeitpatient*innen in Haus 30. Andere Häuser werden renoviert oder umfunktioniert. In Haus 4 entsteht so die Arbeitstherapie, eine Cafeteria, eine Bücherei für Patient*innen. Ein Friseursalon wird in Haus 3 eingerichtet.
Beste Versorgung auf dem neuesten Stand
1979 wird die Klinik selbstständig im Sinne eines Eigenbetriebes. Vorher gehörte sie zur Außendienststelle des Landschaftsverbandes Rheinland. In den Folgejahren bis zur heutigen Zeit wurde sowohl die Versorgung als auch die Behandlungsmöglichkeiten weiter ausgebaut und auf dem neuesten Stand angepasst. Durch das Psychiatrie Enquête verbesserte sich die Situation in den psychiatrischen Einrichtung überall kontinuierlich. Auch Kinder und Jugendliche rücken immer mehr in den Fokus und erhalten eine eigenständige psychiatrische Behandlung.
Auch die Unterbringung forensischer Patienten zur sicheren Unterbringung mit integrierter Arbeitstherapie wird 1998 in Betrieb genommen. Hinzu kommt 2009 die Eröffnung der Gerontopsychiatrischen Abteilung in Haus 30 und der spätere Neubau an der Oberrahserstraße.